9. Januar 2021
Vom Kleinod zum Juwel
Zunahme der Abnahme - Das Jahr 2020 endete nicht nur mit gestiegenen Infektionszahlen in der Corona-Pandemie sondern auch mit dem ungebremsten Anstieg der vom Aussterben bedrohten und gefährdeten Pflanzenarten. Im Dezember erschien die neue Rote Liste der Pflanzen in Schleswig-Holstein, und sie zeigt, dass die Anzahl landesweit abnehmender Arten erheblich angestiegen ist. Einst allgemein häufig vorkommende Pflanzenarten sind nun als gefährdet eingestuft oder wegen eines deutlichen Rückgangs in die sogenannte Vorwarnliste aufgenommen worden. Dies betrifft vor allem die Pflanzenarten des Grünlandes. Die industrielle Landwirtschaft und der Anstieg des Stickstoffes in Luft und Böden führten zu einem nie dagewesenen Verlust der Artenvielfalt.
Blütenbunte Wiesen finden sich fast nur noch in Naturschutzgebieten, die Abnahme des Naturwertes der Kulturlandschaft führt zu einer unerwarteten und genau besehen schlimmen Aufwertung von Naturschutzgebieten gegenüber dem Zustand ihrer Umgebung. An der Börse ist eine Wertsteigerung hoch willkommen, in der Landschaft ist es eine dramatisch traurige Entwicklung, denn sie ist Ausdruck der krassen Artenverluste auf drei Viertel der schleswig-holsteinischen Landesfläche.
Vielfalt statt Leistung - Das Naturschutzgebiet (NSG) "Heidkoppelmoor und Umgebung" ist relativer Profiteur des Biodiversitätsverlustes. Von den 321 dort durch unsere Biologen kartierten Pflanzenarten gehören 98, und damit 30 Prozent, zu den abnehmenden Arten. 51 Arten, und damit 16 Prozent der im Gebiet erfassten Pflanzenvorkommen, sind aktuell Rote Liste Arten. Sie sind in Schleswig-Holstein in die Kategorie 1 (vom Aussterben bedroht), 2 (stark gefährdet) oder 3 (gefährdet) eingestuft. 47 Pflanzenarten im NSG Heidkoppelmoor stehen auf der Vorwarnliste, sind also im Land zwischen den Meeren aktuell noch nicht gefährdet, werden aber wahrscheinlich "bei Fortbestehen der bestandsreduzierenden menschlichen Einwirkungen" in naher Zukunft in die Kategorie „gefährdet“ eingestuft werden müssen.
So wurde aus einem Kleinod ein Juwel, denn das NSG Heidkoppelmoor hat zwar einen moorigen Kern und (bewirtschafteten) Wald, ein großer Flächenanteil aber besteht aus Grünland in verschiedener Ausprägungen, von trocken und besonnt bis feucht und beschattet. Es wird nur in Teilen bewirtschaftet, mit extensiver Beweidung durch Biorinder. Es leidet nicht unter Düngung, ausgesäten Hochleistungsgräsern oder fünfmaligem Mähen im Jahr.
Blüten den Englischen Fingerkrauts
Stormarns Verantwortung - Die Bedeutung des NSG für die bedrohte Grünlandflora lässt sich exemplarisch an dem Englischen Fingerkraut (Potentilla anglica) beschreiben. Die kleine Wiesenblume wächst kriechend am Boden und heißt daher auch Niederliegendes Fingerkraut. Sie hat vier, manchmal auch fünf leuchtend gelbe Blütenblätter und behält ihre grünen, gefingerten Blätter auch im Winter.
In der Liste der sogenannten Verantwortungsarten ist Deutschland für Potentilla anglica als "in besonders hohem Maße verantwortlich" eingestuft. Diese Einstufung bedeutet laut Bundesamt für Naturschutz (BfN), dass das Aussterben der Pflanze bei uns ein weltweites Erlöschen der Art bedeuten kann. Vor allem auch Schleswig-Holstein trägt für das Englische Fingerkraut diese Verantwortung und muss, da es jetzt als "stark gefährdet" gilt, besondere Anstrengungen für den Erhalt dieser einstmals in bei uns im Norden weit verbreiteten Art vornehmen. Gut nachvollziehen lässt sich dies an ihrer Verbreitungskarte , die das BfN herausgibt. In den Jahren 1950 bis 1980 war Schleswig-Holstein ein Potentilla-Land, danach ging es stetig bergab.
Ein Schwerpunkt des Potentilla-Vorkommens in Schleswig-Holstein liegt derzeit noch in den Naturschutzgebieten in Stormarn und hier ganz besonders im NSG Heidkoppelmoor. Auf einer nur einen Hektar großen Fläche, einer Borstgraswiese , wächst es noch massenhaft. Auch in drei weiteren Wiesengebieten ist es im NSG zu finden.
Die Borstgraswiese im Morgendunst
Neben Wiesenschutz auch Moorschutz - Der NABU als das NSG betreuender Naturschutzverband trägt nicht nur für die Wiesenvielfalt im NSG Sorge, sondern auch für die Erhaltung des kleinen Moorkernes. Er sorgte 2012 für die Wiedervernässung es Kesselmoores, aber in den Sommern 2018 und 2019 trocknete es so weit aus, dass sich zu viele junge Birken ausbreiten konnten. Sie drohen das Moor zu überwuchern und den Moorpflanzen, wie Torfmoos, Wollgras oder Moosbeere, das Wasser zu nehmen. Mitte Januar 2021 soll deshalb eine professionelle, vom Land finanzierte Entkusselung die jungen Birken beseitigen. Wenn das NSG auch vor den negativen Auswirkungen konventioneller Landwirtschaft geschützt ist, der Klimawandel lässt es nicht unberührt.